Die zwölf Rauhnächte werden auch die Zeit „zwischen den Jahren“ genannt. Wie ist das zu verstehen? Die Lösung des Rätsels liegt in dem Widerspruch zwischen dem lunaren und dem solaren Kalender. Während das Mondjahr aus zwölf synodischen Zyklen von durchschnittlich 29,5 Tagen besteht und damit auf insgesamt 354 Tage kommt, zählt der Sonnenkalender 365 Tage. Es bleiben also elf Tage und zwölf Nächte übrig.

Das Wort „Rauhnacht“ leitet sich nach bisherigen Erkenntnissen entweder von dem mittelhochdeutschen „rȗch“ ab, was haarig oder Fell bedeutet und sich auf Tiere oder Dämonen bezieht, oder von „Rauch“ bzw. „Räucherung“, welche durchgeführt wurden, um diese Unholde zu vertreiben. In römischen und griechischen Kulturen diente das Rauchen oder Räuchern nicht dazu, böse Geister und Dämonen zu vertreiben, sondern zur Freude und Anlockung der göttlichen Kräfte und der Toten. „Rauch“ könnte aber auch in seiner mundartlichen Version „rauh, herb, behaart“ gelesen werden und somit die Überleitung zu den mit Masken und Fellen behangenen, in den kalten rauhen Nächten umherziehenden Perchten bilden.

In der christlichen Umgebung fangen die Rauhnächte am 25. Dezember an und dauern bis zum Dreikönigstag am 6. Januar. Die Germanen setzten den Beginn der Rauhnächte bereits zur Wintersonnenwende am 21. Dezember an, an dem sie auch die Geburt des jungen Sonnengottes Tyr zelebrierten. In dieser Tradition, die sich ebenfalls bis heute erhalten hat, enden die Rauhnächte zu Neujahr. Aus dieser Tradition haben sich jedoch Nebenvarianten entwickelt, in denen die zum Wintersolstitium (Wintersonnenwende) beginnenden Rauhnächte ebenfalls bis zum 6. Januar dauern, indem die dazwischen-liegenden Sonn- und Feiertage nicht mitgezählt werden.

Bereits die alten Ägypter rechneten mit dem Mondkalender und kannten zusammen-hängende Schalttage zwischen den Jahren, die sie „Heriu-renpet“ nannten. Gemäß der ägyptischen Mythologie herrschten Dämonen über diese Zusatztage.

Viele der Begriffe und Umschreibungen für die zwölf Rauhnächte wie „leere Tage“, „tote Tage“ oder „Niemandszeit“ deuten darauf hin: In dieser [Nicht-]Zeit sind die bekannten Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt, und die Grenzen zwischen den Dimensionen lockern sich. Dadurch öffnen sich die Tore zum geistigen Reich, zur Unter- und Oberwelt, und erleichtern übersinnliche Erfahrungen.

Alten Mythen zufolge nutzt ein Heer wildgewordener Geister diesen Zeit-Raum der Gesetzlosigkeit für einen „Freigang“ aus. Im Schutz der langen Dunkelheit toben sie sich aus und jagen über Felder und Siedlungen – nach germanischer Auffassung unter der Anführerschaft von Wotan.

Die Zeit „zwischen den Jahren“ wird die Julzeit genannt, denn die folgenden 11 Tage und 12 Nächte bis zum nächsten 1. Januar gehören weder zum alten (Mond-) noch zum neuen (Sonnen-) Jahr.

Es ist die Zeit, in der alles still steht, die Zeit des Übergangs, oft auch „Stille Zeit“ oder „Tote Zeit“ genannt, oder die „Zwölften“. Vielleicht stammt daher auch das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht …“. Jeder „Zwölfte“ ist ein Feiertag, symbolisiert einen Monat, ein Tierkreiszeichen, eine Farbe, eine Pflanze usw. Es ist aber auch eine wilde Zeit, denn alles ist in der Schwebe und wirbelt durcheinander: Helles und Dunkles, Großes und Kleines, Junges und Altes. Die Seelen der Menschen sind so empfindlich wie das kleine Lichtfünkchen, das sich in der Weihe-Nacht gerade erst entzündet hat. Die Julzeit ist die Zeit der Regeneration und des fruchtbaren und schöpferischen Chaos, aus dem die Keime des Lebens erwachsen.

 

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Creanna
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Ich - Creanna, praktizierende Hexe - habe mir eine Aufgabe gestellt zum Nutzen der Welt und zum Wohlgefallen der edlen Herzen. Jener Herzen, zu denen ich mich hingezogen fühle und jener Welt, in die mein Herz blickt.

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